Gemeinschaft nach dem Clash

 

Sowohl Globalisierung als auch die Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften haben es mir wahrscheinlich erscheinen lassen, dass sich rechte Ideologien erübrigen. Nach dem Bankrott des Stalinismus schien man hoffen zu dürfen, dass Mobilität und Pluralisierung danach auch die Kondition rechter Ideologen überfordern würden, dass sie ermüden. Inzwischen kann ich kaum am politischen Erfolg verschiedenster rechter Bewegungen vorbeischauen. Mehr noch: Ich muss den Erfolg rechter Ideen eingestehen, eine - mir ganz und gar widersinnig erscheinende - Globalisierung rechten Gedankenguts.

 

Kernstück rechter Ideologie ist, eine urwüchsige sittliche Verfasstheit wahrer Gemeinschaften anzunehmen, die nicht anhand von außen herangetragener Prinzipien erfasst und kritisiert werden kann1. Die Urwüchsigkeit in der völkischen Rechten als Blutlinie, als Rasse ist dem Individuum vorgeordnet. Kaum jemand hat dies derart detailreich ausgearbeitet wie die Rechtswissenschaftler des Nationalsozialismus. Verallgemeinert meint sie ein Bündel unwillkürlicher Eigenschaften des Individuums, das es mit den anderen Gemeinschaftsmitgliedern teilt. In diese Gemeinschaft muss sich das Individuum einordnen.

 

Huttington war wohl von ähnlicher Zuversicht erfüllt wie ich, als er das Ende der Geschichte ausrief. Kurz darauf behauptete er die Existenz von Zivilisationen – wahlweise acht oder neun – mit je eigenen  Wertvorstellungen und  Religionen. Wenn er diese als höchste sinnstiftende Einheit anerkennt, demontiert er nicht einfach einen eurozentristischen Universalismus2. Er stellt erstens in Frage, ob dem Einzelnen überhaupt Instrumente zur Kritik seiner Zivilisation über deren Selbstwidersprüche hinaus zur Verfügung stehen. Damit wird eben die Zivilisation bzw. Kultur zur urwüchsigen sittlichen Verfasstheit. Indem er ganz unbefangen den Bezugsrahmen vom Volk auf den Kulturkreis verlagert, turnt er vor, was unzählige Gemeinschaften nachahmen: Das Selbstverständnis der Gemeinschaft wird zum rational nicht mehr einholbaren Bezugsrahmen. Warum eigentlich neun und nicht 37?

 

Während der sich mit einer solchen Gemeinschaft identifizierende Einzelne den Eliten der Mehrheitsgesellschaft eine Nase dreht, blendet er aus, dass er die Mittel zur Kritik gegenüber der eigenen Community aus der Hand gegeben hat. Im vermeintlichen Gegner seiner Urwüchsigkeit erkennt der Identitarier nicht den allgemeinen Verbündeten des Individuums gegen die Eliten der eigenen Gemeinschaft. So sind bestimmte Auffassungen von Identität konstruiert. Dabei ist der Grad schmal zwischen der Erkenntnis, von den in einer Gesellschaft vorherrschenden Ideologien in bestimmter Weise identifiziert worden zu sein und der Immunisierung gegenüber den Zumutungen jedweden Gesprächs durch eben die Identifikation mit den identischen Genossen. Autonomie durch Einordnung? In der ersten Auffassung erscheint die verordnete Identität als der durch Emanzipation aufzulösende Gegenstand. In der zweiten erscheinen allgemeine Kategorien und Prinzipien als Bedrohung der prinzipiell sezessionistischen Identität.

 

Diese Auffassung von Identität als Bündel überindividueller Kennzeichen von Gemeinschaftsmitgliedern kann jede Community pflegen, an die Stelle des Rassebegriffs kann jedes andere Bündel von Eigenschaften treten, wenn diese nur dem direkten Einfluss des Individuums entzogen scheinen. Diese Eigenschaften werden dann als wesentlicher deklariert als solche, die ein Mitglied mit Fremden teilt. So kann ein multikulturelles Patchwork exkludierender Communities entstehen, die sich jeweils gegen die Zumutung eines auf Argumente gestützten Streites verwehren, womit der Kulturrelativismus a la Huttington ihr informelles Waffenstillstandsabkommen wird. Indem dieses Modell das Individuum ohne ihm eigene Mittel an seine Gemeinschaft ausliefert, kann jede sich wodurch auch immer konstituierende Community eben die urwüchsige sittliche Verfasstheit beanspruchen, mit der sie sich das Individuum einverleiben kann. Von Glück kann reden, wer zum Kader der Community gehört.

 

Nun sind nicht alle Gemeinschaften derart exkludierend konstruiert und die sogenannte Leitkultur trägt eine gehörige Verantwortung an dem Erstarken identitärer Gemeinschaften, indem sie Emanzipationsbestrebungen marginalisierter Gruppen ausdauernd zurückweist. Leitkultur meint hier das Bekenntnis einer Community der Normalen in seiner Urwüchsigkeit.  Ein übergreifendes Gespräch wird aber gerade durch den multikulturellen Pax Huttington gestört. Schon das Formulieren einer moralischen Frage allgemeinen Anspruchs muss von unzähligen Communities als Bedrohung ihrer Identität aufgefasst werden. Diese Zurückweisung moralischer Prinzipien als Gesprächsgrundlage kann aber auch von klassischen Rechten und Rassisten, die sich und ihre Parteigänger im Handumdrehen selbst als Communities deklarieren, beansprucht werden. Argumente suchen immer nach einem allgemeinen Bezug, einem dem auch die unwillige Gegenseite zustimmen muss. Damit bedrohen sie und das Streiten an sich die Exklusivität der Communities als Grundlage ihrer Urwüchsigkeit.

 

Gibt es Hoffnung? In einem verkramten Zeitungsartikel las ich, die mehrheitlich links-totalitären Ideologien anhängenden Studenten hätten in den 68ern, um eben diese Ideen zu debattieren, eine Kultur der Cafés, Kneipen und Kleinstverlage erschaffen – eben die Infrastruktur einer liberalen Gesellschaft, die Deutschland bis dahin fehlte. Bestenfalls könnten also die unzähligen essentialistischen Communities enpassent eine Struktur erschaffen, in der Vielfalt und vergebliche Abgrenzungen  den Nährboden eines allgemeinen Diskurses bereiten. Dazu müssen die Identitären bloß ermüden, was allerdings durch ihre Vielfalt begünstigt werden sollte: Jede Community muss sich ja an unzähligen, verschrobenen Fremden abarbeiten.

 

Darüber hinaus kehren Begriffe in das Gespräch zurück, die allgemeine moralische Ansprüche in den Blick nehmen. So zum Beispiel der Begriff der Nachhaltigkeit, der lokale Erfordernisse auf einen globalen Rahmen bezieht. Auch erstarkt der Begriff der sozialen Gerechtigkeit und in Verbindung mit beiden der der Gemeingüter, der Commons. Wenn Huttington kritisiert wird, wird oft angemerkt, wir hätten statt einem Kampf der Kulturen einen Kampf um die Kultur. In diesem Kampf stünden sich die universalistischen Auffassung verbunden mit einer Bejahung einer globalen, kapitalistischen Marktordnung und die essentialistischen Auffassungen von Kultur auf den unzähligen anderen Seiten gegenüber. Mir erscheint das als eine Wahl zwischen Pest und Cholera!

 

Im Begriff der Gemeingüter drückt sich eine andere Auffassung von Gemeinschaft aus, die eine solche über die gemeinsame Verantwortung definiert anstatt über exklusive Eigenschaften der Mitglieder. Damit ermöglicht diese Moral eine Kritik eines die Gemeinschaften und ihre Lebensgrundlagen angreifenden Marktes auf der einen und die Kritik identitärer Gemeinschaften auf der anderen Seite. Diese Kritikfähigkeit befreit das Individuum, indem es sowohl gegen Ausbeutung als auch gegen Vereinnahmung Einspruch erheben kann.

 

Als ein solches Individuum hatte ich ohnehin wenig Lust auf einen wie auch immer aufgefassten Kulturkampf. Für einen Streit bin ich übrigens immer zu haben! Leider müssen aber die Vielen, die sich über konkrete Werte streiten mögen, auf die Anwesenheit von Kämpfernaturen einstellen. Hoffentlich ermüden diese vor jenen!

 

 

 

 

 

1 Nach: https://www.jura.uni-muenster.de/de/institute/lehrstuhl-fuer-buergerliches-recht-rechtsphilosophie-und-medizinrecht/studieren/recht-und-rechtswissenschaft-im-nationalsozialismus/

 

2 Nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_P._Huntington#Werk