Oft lasse ich mich über die gegensätzlichen Auffassungen von Freiheit aus, als müssten die Anhänger der einen wahren sich ein orangenes Kreuz über die Brust pinseln, um all den Libertären, Identitären, Alternativen und Avantgardisten ihre Auffassungen auszutreiben. Selbstredend bin ich vom Misserfolg eines Kreuzzugs für die eine wahre Freiheit überzeugt: Sein Motiv wäre sein erster Kollateralschaden. Wenn diese Resignation das einzige Gegenargument wäre, bliebe mein Messer aufgeklappt in der Tasche – auch ohne Hoffnung es einzusetzen. Bevor ich zu einem Ansatz der Versöhnung komme, zähle ich ein paar gegensätzliche Freiheitsbegriffe knapp erläutert auf:

 

Den grundlegendsten und politisch fruchtbarsten Begriff von Freiheit sehe ich immer noch darin, diese als Abwesenheit von Herrschaft aufzufassen. Er bringt eine gewisse Selbstbegrenzung mit sich, ohne sich in Pradoxien zu verfangen, indem auch das eigene Herrschen als Schaden an der Freiheit aufgefasst wird. Realpolitisch muss sich jeder Herrschende ganz prinzipiell in einen Fürsten wie den aus Machiavellis gleichnamigen Buch verwandeln, womit er seine Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung beschränkt. In diesem Begriff wird die Freiheit so zu einer Gemeinschaftsaufgabe und einem individuellen Anspruch. Wir sollten jede und jeden von uns mit den Mitteln ausstatten, um jedwede Herrschaftsansprüche effektiv zurückzuweisen.

 

Freiheit kann auch als Maß der eigenen Handlungsoptionen aufgefasst werden. Kann ich mich zwischen mehr Alternativen entscheiden, darf ich mich freier fühlen. Dies entspricht weitgehend dem ganz alltäglichen Empfinden, das erfrischend amoralisch auch die Optionen begehrt, die zulasten anderer Subjekte gehen. Daher tritt uns diese Auffassung alltäglich meist in der Relativierung entgegen, dass die eigene Freiheit in der des anderen seine Grenze finde, womitdieser Freiheitsbegriff seine orientierende Funktion einbüßt. Zwischen den Freiheiten beider Seiten soll  ein Kompromiss ausgehandelt werden, ohne dass diese Auffassung einen Bezugspunkt für die Verhandlung anbietet.

 

Näher verwandt zum ersten Freiheitsbegriff ist der der alternativen Szene: Kleine Gemeinschaften sollen dem Individuum einen Freiheitsraum eröffnen, indem sie ihm eine von gesellschaftlichen Konsens abweichende Lebensweise ermöglichen. Der Einzelne befreit sich so aus den herrschenden Verhältnissen – um in die Verhältnisse einer kleineren Gemeinschaft einzutreten, für die aber ebenso fraglich ist, ob es darin frei ist. Zudem bleibt unklar, auf welcher Grundlage die so entstandenen Subkulturen kommunizieren sollen. Eine Radikalisierung erfährt diese Freiheitsauffassung, wenn sie dem Einzelnen eine Loyalität abfordert, die mit dem Begriff der Identität begründet wird. Insbesondere einer Community soll deine Treue gelten! Die Freiheit von den allgemeinen Ansprüchen einer bornierten Mehrheitsgesellschaft wird durch eine alternative Borniertheit. Du musst wissen, wohin du gehörst!

 

In einer die Signifikanz heiligenden Gesellschaft geht es aber nicht nur darum, so oder anders aufgefasst frei zu sein bzw. sich frei zu fühlen. Ich muss mich mir und anderen als frei darstellen können, was nur gelingt, indem ich mich unter den jeweiligen Handlungsoptionen treffsicher für die statistischen Ausreißer entscheide. Aus der Alltagskultur der Massenprodukte soll ich nun in eine alternative Enklave auszubrechen. Es bieten sich noch zwei weitere Taktiken: Ich kann für möglichst viele Lebensbereiche auf den letzten Schrei setzen. Ich trage den neuartigsten aller Schuhe, womit ich meine Abweichung vom Mainstream gekennzeichnet habe. Wird dieser Erfolg anerkannt, tragen den hippen Schuh bald Millionen und der Hippster muss sich einen neuen, ganz anderen zulegen. Ich kann allerdings auch zum anachronistischen Exzentriker werden, kombiniere Livre und Tennisschuh. So  lebe ich allerdings mit dem Problem, dass ich  Symbole jenseits des allgemeinen Lexikons oder gegen ihre Grammatik nutzen muss, womit ich frei aber unverstanden da stehe. Wollte ich mich so als freies Individuum darstellen, ist diese Darstellung unüberhörbar aber unverständlich.

 

Bis auf den ersten kennzeichnen diese Auffassungen von Freiheit den kulturellen Kapitalismus[1] der über die Massenproduktion hinausgeht, wenn diese auch weiterläuft, und so auch Gegenkulturen vereinnahmen kann. Er übertrifft seine Ahnen in seiner Steigerungslogik, die Freiheit nur im Mehr sieht, obgleich seine Krisenszenarien inzwischen zum Allgemeinwissen gehören: Insbesondere ökologische Katastrophen und soziale Ungleichheit[2]. Um diese zu bewältigen bräuchten wir ein Ökosteuersystem, dass die Belastung der Ressourcen künstlich verteuert um deren Pflege zu bezahlen, und ein steuerliches Umverteilungssystem. Dieses müsste Privatvermögen progressiv besteuern, und die Einnahmen direkt umverteilen. Entsprechend müssten die Unternehmenssteuern an die Firmengröße gekoppelt werden. Beides würde die Größe von Vermögen und Firmen faktisch begrenzen, indem diese eine Rentabilitätsgrenze erhielte. Dies wird aber als eine Beschädigung individueller Freiheit diffamiert, indem ein exzentrischer Freiheitsbegriff zum Ideal erhoben wird.

 

Anders Levermann erläutert in der FAZ den Begriff der Faltung[3], als Möglichkeit unendlichen Wachstums in endlichem Raum. Im Wissen um die Endlichkeit des Raums biegt das agierende System seine Bewegung in den Raum zurück. Als Bild wir dem Leser der seine Flugfiguren zwischen Boden und maximaler Flughöhe ausdifferenzierende Vogelschwarm dargestellt. Gleiches gilt für die Ausdifferenzierung der Arten bei begrenzten Ressourcen. Indem die Systeme ständig die Entwicklungsrichtung variieren, streben sie Diversität an. Eine die Ausbeutung und das Größenwachstum begrenzende Wirtschaftsordnung, als demokratisch legitimierte Begrenzung, würde also den Markt und alle seine Leistungen diversifizieren lassen. Wir hätten nicht eine knappe Hand voll Sportschuhfirmen weltweit, sondern unzählige sich lokal und funktional unterscheidende. Wir hätten nicht ein ewig expandierendes Facebook, sondern lauter sich qualitativ unterscheidende aber miteinander kooperierende Facebooklets. Ebenso müssten Produzenten sich auf die lokalen ökologischen Notwendigkeiten einstellen und sich in die lokalen Gemeinschaften einbringen. Jede Konkurrenz wäre in Kooperation aufgehoben, indem sie nicht auf unbegrenztes Größenwachstum abzielen könnte.

 

Was bedeutet dies für die oben genannten Auffassungen von Freiheit? Die in ihrer Größe begrenzt und auf ihre Kooperation verwiesenen Firmen und vermögenden Individuen, können anderen gegenüber weit weniger wirksam Herrschaftsansprüche durchsetzen als aktuell. Die die entsprechenden Steuern durchsetzende Instanz, beschränkt ihre Freiheit zur Expansion aber nur wie die aller und nur so weit, dass Herrschaft am Markt ausbleibt. Damit befreien sie aber alle Marktteilnehmer aus dem Verdrängungskampf, auch seine Fürsten.

 

Darüber hinaus bietet die durch die Faltung hervorgetriebene Diversität jedem Akteur, ob nun Individuum, Firma oder Institution, mehr Wahlfreiheit an  Produkten und Kooperationspartnern. Aber auch die Qual der Wahl wird sich durch einen neuen lokalen Bezug zu begrenzen, ohne Regionen dafür hart gegeneinander abgrenzen zu müssen. Der Lieferweg eines Produkts geht einfach über  die ökologischen Nebenkosten in seinen Preis ein. Um mit begrenzten Ressourcen wirtschaften zu können, wird der einzelne Akteur Kooperationen anstreben, für die er eben darum einen argumentativen Rahmen befürwortet.

 

Die ökologische Kalkulation bezieht wirtschaftliches Handeln unter anderem auf lokale Ressourcen, womit es sich eben auch regional ausdifferenzieren wird. Hoffentlich erspart uns diese Logik den elitären Mondtourismus samt seinen eskapistischen Visionen der Marsbesiedlung! Zudem stellen kleine und mittlere Firmen in diversifizierten Märkten selbst für ihre Mitglieder überschaubare Gemeinschaften dar. Diese sind auf die Kooperation unter anderem mit der öffentlichen Hand angewiesen, die sich über lokale Gemeinschaften legitimiert. Damit ergibt sich ein Horizont der Identifikation für das Individuum, ohne dass ihm eine seine Geselligkeit kastrierende Loyalität abgefordert werden müsste. Der Einzelne kann sich schadlos zwischen verschiedenen Milieus, Gemeinschaften und Regionen bewegen, die in ihrer Unschärfe dem Orbital der Teilchenphysik glichen. So kann der Einzelne sich auch in solchen bewegen, in denen er wegen  seiner aktuellen Prägung als Exot auftreten kann, um zeitweise seine Exzentrik zu befriedigen. Bei dem diesen Ausflug begleitenden gegenseitigen Lernen wird beiden Gemeinschaften eine weitere Ausdifferenzierung ermöglicht.

 

Auf seinen verschlungenen Pfaden kann der einzelne Akteur sowohl sein Handeln und seine Produkte als auch die von ihm konsumierten immer wieder als neu erleben. Hat er dann irgendwann von allem gekostet, hat sich die als erstes goutierte Lebensart samt ihrer Gemeinschaft eh wieder fortentwickelt. Das Individuum kann die Exploration von neuem starten.

 

Die drohenden Krisen – die ökologische wie die soziale – fordern eine Begrenzung des Größenwachstums. Würde diese Forderung politisch umgesetzt, würden die gesellschaftlichen Teilsysteme durch Faltung reagieren. In der dadurch hervorgetriebenen Diversität stellten die verschiedenen Auffassung von Freiheit keine harten Gegensätze mehr dar, so dass wir uns ein ideologisches Schlachtfeld ersparen könnten. Die Effekte der Faltung versöhnen verschiedene Auffassungen der Freiheit in einer vielfältigen sozialen Realität.

 

Die Ideologen des Größenwahns können wir allerdings beschwichtigen: Die Begrenzung der Freiheit zum Größenwachstum wird durch den Freiheitsgewinn durch die aus der Faltung folgenden Diversifizierung mehr als aufgewogen. Die staatlichen Vertreter freier Gesellschaften haben so auch das Recht, diese Begrenzungen durchzusetzen. Dem gehobenen Mittelstand sollten wir mit Verweis auf die grandiosen Flugschauen der Vogelschwärme versichern: Um einige Privilegien erleichtert fliegt es sich viel beweglicher!

 

 

 



[1] Begriff nach Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten – Zum Strukturwandel der Moderne (Suhrkamp 2017)

[2] Warum diese eine Krise des den Kapitalismus beherbergenden Gesellschaftsmodells ist versuche ich in einem folgenden Essay zu ergründen.

[3] 7. Juli , FAZ  „Die Faltung der Welt“