Die Nacht hat keine Gnade mit einem einsamen Bootsmann. Regen in allen Spielarten wird mir von Windböen ins Gesicht und unter die Kleidung getrieben. Mir gegenüber steht an der Bank angebunden,
mein Fahrgast, eine stattliche Staude Helgoländer Kohls. Er ist der letzte Zeuge dieser einzigartigen Art. Was könnte er mir wohl berichten? Aber Kohl scheint stumm. Wichtiger ist auch die Frage,
ob ich seine Art, ihn retten kann. Die meisten Kohlindividuen sind bereits den Angriffen der Kaninchen zum Opfer gefallen.
Wissenschaftler haben seit langem seltsame Veränderungen am Helgoländer Kohl festgestellt. Aber wie die Herren Wissenschaftler so sind begnügen sie sich mit der Diagnose! Meine Wut auf diese
Systemknechte gibt mir Kraft, den Außenborder auf Kurs und mich auf der Bank zu halten. Denen der Kohl nur eine stumme Pflanze ist, müssen wissen: Ein Kohl, der von einem Kaninchen gebissen wird,
produziert bittere Säfte, die dem Aggressor bald den Appetit verderben. Aber damit nicht genug: Kohl sendet chemische Signale, um seine Nachbarn zu warnen.
Die Wissenschaftler beschuldigen nun einen Kohl, dieses Bündnis gebrochen zu haben. Aber wer nimmt sich eigentlich das Recht heraus, festzulegen, was welcher Botenstoff bedeuten soll? Die Knechte
können nicht verstehen, dass jener Kohl, den übrigens keiner der Weißkittel mit eigenen Augen gesehen hat, der erste freie Kohl war. Vielleicht hat ein einzelner Kohl einen eigenen Botenstoff
erfunden. Seine Nachbarn waren halt zu dumm, seine Message zu verstehen, was aber nicht dem Genius angelastet werden kann. Was die Wissenschaftler nicht begriffen, ahmten bald viele kühne Stauden
nach: Jede entwarf ihre Botenstoffe!
All diese mutigen trugen das Risiko der Innovation stolz und ohne Furcht. Der eine, den ich retten werde, wird in diesem Geiste eine neue Art gründen. Ich bin mir sicher, dass die querdenkenden
Stauden dem Systemkraut den Kampf ansagen und diesen auch gewinnen werden. Wehe dem Systemkraut, wenn es meinen Kohl angreifen sollte! Das Wasser aus dem Boot geschöpft, zurück an die Ruder!
Puh! Einige Kohlpflanzen zeigten mit ihren Botenstoffen wohl auch andere Ereignisse an: Warum soll man nur über die Übel der Welt reden? Man kann den gleichen Botenstoff doch auch ausschütten, um
den Sonnenschein zu preisen! Wer legt das alles eigentlich fest? Und die Karnickelfürchtigen zogen die Köpfe ein, ha! Die haben tagsüber so viel Bitternis produziert, dass sie den nachts
anrückenden Karnickelbrigaden nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Hi, hi, da standen meine wackeren Querdenker allein auf kahler Flur.
Meine tapferen Stauden werden all die Taktiken, die im ersten Anlauf so gefährlich schienen, zu einer aggressiven Strategie vereinen. Die Opfer sind jetzt schon aufgewogen. Mein Gegenüber wird
der Stammvater einer Art, von der kein Vertreter sich irgendeiner Konvention beugen wird! Die Feinde meines Kohls werden vor uns erzittern! Ein Krieg der Arten, der alles aufs Spiel setzt!
All die Spießerstauden sind zur Gattung erstarrte Kompromisse mit den Fressfeinden. Gäbe es nur ein kühnes Karnickel, würde es das Anknabbern dieser Bücklinge überspringen und sie am Strunk
fällen, bevor sie einander warnen könnten. Vor einem solch disruptiven Karnickel hätte ich, hätten wir wenigstens Achtung, Achtung vor dem Feind! Soll es unser Gift nur kosten! Das sogenannte
ökologische Gleichgewicht ist doch nur der faule Kompromiss der Arten!
Mein Kohl trotzt jetzt schon mir zum Vorbild den Wellen, pah! Holt uns doch, wenn ihr könnt! Ich habe in diesem Kohl, dieser ersten wahrhaft aufrechten Staude, mein Ebenbild gefunden: Was will
mir die Wissenschaft schon anhaben? Ich mach mir meinen eigenen Reim! Impfung? Ist was für Schwächlinge und Idioten! Ich soll vernünftig sein? Vernünftig wie jene vorgestrigen Gewächse? Ich bin
lieber intelligent, auf meine Art! Ich bin frei, seit ich meine Sprache habe, ganz für mich allein. Ich bin der Schöpfer meiner Vernunft, wie ihr die Schöpfer eurer Unterwürfigkeit seid. Jeder
muss seine Verantwortung tragen!
Und da ist Land in Sicht! Den Aufrechten rettete ich vom kahlen Eiland. Morgen werdet ihr erkennen, dass ich einer neuen Zeit den Weg bereitet habe! Ich, der Friedländer, werde nur noch
Eigensinniges denken, mich von Eigensinnigem nähren, Eigensinniges tun. Folgt mir oder bleibt, was ihr seid: Willfähriges Gemüse!