Precht gibt den Vorturner in Resignation

Precht malt bei Lanz den Verzicht als Preis aller moralischen Haltungen in Farben aus der Biografie seines Großvaters, zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise umfassend, an die Wand. Einem will angst und bange werden! Oder man unterscheidet Verzicht und Entbehrung. Müssen wir auf essenzielle Güter verzichten, erleben wir Entbehrungen. Unsere Großeltern können davon berichten. Menschen aus armen Ländern oder dem Niedriglohnsektor hierzulande auch. Wohlhabende Menschen können allerdings auf manches verzichten, ohne dadurch Entbehrung zu erleben. Kann jeder ausprobieren. Tun allerdings in egalitären Gemeinschaften mehr als in hierarchischen.

Strategie Nummer eins: Vereinfachung. Stadtauto gegen Fahrrad tauschen. Wer Entbehrungen erlebt, derweil er den Stadtpark durchradelt, halte am nächsten Biergarten! Meine Stadt kommt langsam auf den Trichter, mehr Verkehrsteilnehmer zu solchen Vereinfachungen einzuladen: Sie baut Radwege.

Strategie Nummer zwei: Vergemeinschaftung. Meine Hausgemeinschaft hat eine kleine Werkstatt eingerichtet. Ich habe ein paar Maschinchen beigesteuert. Die nutze ich jetzt mehr als zuvor. Meine Nachbarn allerdings ebenso. Keiner entbehrt da was. Die von Konservativen generalisierte sowjetische Verwahrlosung aller Gemeinschaftsgüter wird fröhlich abgewendet.

Ich verzichte auch weitgehend auf den Kauf teurer Feinkost. Strategie Nummer drei, die Eigenproduktion, wendet hier die Entbehrung ab. Als Kleingärtner schaffen meine Frau und ich erlesene Rohstoffe aus unserer Parzelle heran und veredeln sie in der heimischen Küche. Viele der Produkte könnten wir uns schlicht gar nicht kaufen, da sie auf dem Markt nicht angeboten werden.

Ich könnte die Aufzählung noch fortsetzen und manch einer könnte sie bestimmt noch überraschend ergänzen. Oft spielt bei den Strategien Kooperation eine tragende Rolle und die Institutionen, die diese absichern. Die Radwege sind Staatsbesitz, die Garagen gehören einer verschworenen Hausgemeinschaft und der Kleingarten zum Kapital unserer ganz bürgerlichen Ehe. Die Gemeinschaften und ihre Institutionen zehren von der Identifikation ihrer Mitglieder mit dem Ganzen und die hält nur ein gewisses Maß an Ungleichheit aus. Auch können Arme solche Gemeinschaftsgüter sehr viel schwieriger unterhalten.

Damit wird Umverteilung als übergeordnete Strategie notwendig. Die könnte vielleicht die Merzens im Lande zwingen, auf den Flug im Privatjet nach Sylt zu verzichten. Lasst uns Ihnen für diese Aussicht auf Entbehrung gemeinschaftlich die Hemden nass heulen! Solidarische Strategien wie die skizzierten sind allerdings notwendig, um Krisen zu bewältigen, ganz gleich, ob diese aus dem bisherigen ökologischen Raubbau folgen, der systemischen sozialen Ungleichheit oder äußeren Bedrohungen durch expansive Despoten. Politik sollte uns daher zu solidarischem Handeln ausrüsten.

Eine wichtige Rahmenbedingung ist dabei auch eine moralisch und strategisch glaubhafte Haltung gegenüber Despoten. Prechts Lamento legt eher nahe, bei der moralischen Indifferenz der letzten Dekaden zu bleiben, weil jede Wende widersprüchlich und damit unglaubwürdig sei. Jede Haltung riskant. Jede Moral bigott. Jeder Verzicht entbehrungsreich. Ich hoffe, dass es unter den Philosophen- vielleicht sogar solchen mit Abschluss - solche gibt, die uns zur Gestaltung der Zukunft ermutigen. Meine Verzweiflung braucht jedenfalls keinen Vorturner. Mein Mut allerdings klare Sicht, zu der Intellektuelle mit nüchternen Begriffsbestimmungen beitragen können.