Nach dem Bruch der Ampel hält insbesondere Herr Lindner flammende Reden. Darin warnt er vor dem Nullsummenspiel der Umverteilung als Hindernis auf dem Weg zu Wachstum und Reichtum für alle. Wenn jemand viel Sinn in wenig Text komprimiert, nennen wir das Dichtung. Lindner scheint ein später Dadaist zu sein.
Schon die Ausschließlichkeit scheint mir falsch. “Eine zunehmend ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen bremst das Wirtschaftswachstum. Dafür sprechen empirische Befunde in der Ökonomie. Staatliche Umverteilungsmassnahmen können das Wachstum – im Nettoeffekt – hingegen positiv beeinflussen, wie neuere Erkenntnisse von IWF und OECD andeuten. Im Idealfall erzielen durchdachte Umverteilungsmassnahmen eine doppelte Dividende: Sie reduzieren die Ungleichheiten und fördern gleichzeitig das Wachstum*.” Diese Einschätzung ließ sich mit einem Click im Internet finden. Was mich auch für die kleinen und großen Lindners auf dieser Welt hoffen lässt.
Ich will zusätzlich zwischen dem Tauschwert und dem Nutzwert unterscheiden. Nehmen wir einem Reichen sagen wir hunderttausend Euro weg, müsste er die bei einer der nächsten Anschaffungen sparen. Nach Priorisierung kämen dafür vor allem Luxusgüter infrage. Beispielsweise müsste die nächste Motoryacht ein paar Meter kürzer ausfallen. Geben wir diese Geldmenge dann einem oder mehreren Armen, priorisieren diese genau spiegelverkehrt. Sie gäben das Geld für das Notwendigste aus. Ein Armer hätte für die hunderttausend beispielsweise ein Dach über dem Kopf. Das Dach über dem Kopf des einen wiegt die Verkürzung der Yacht des anderen aber bei weitem auf. Das sagt mir mein moralisches Empfinden. Ist wohl bei den meisten so. Unsere Verfassung sieht das auch so.
Ökonomisch ausgeglichene Gesellschaften haben aber als weiteren Vorteil sozialen Frieden. Mir bestätigen Verwandte beispielsweise aus den USA, dass man sich durch Berlin-Kreuzberg so ungleich sorgloser bewegen kann wie durch die verschiedensten Innenstädte dort. Schon wieder also ein Surplus der ökonomischen Ausgleichs. Ich las auch von den Gated Communities der Reichen und Schönen. Differenziert sich eine Gesellschaft also ökonomisch aus, entwickelt sie einen höheren Bedarf an Zäunen und Überwachungskameras. Besser gestellte Milieus entwickeln zunehmend Bedürfnisse der Abgrenzung, was die soziale Mobilität für alle herabsetzt. Ungleichheit produziert also die Parallelgesellschaften, die zwischen Kulturen nie nachgewiesen wurden. Soziale Mobilität birgt aber das Potenzial, dass sich diverse Konzepte zu allen möglichen Themen in einem offenen Diskurs treffen. Die zu erwartenden Innovationen dürfen wieder der Umverteilung gutgeschrieben werden.
Nun ist das Wort Umverteilung so unpräzise, dass man bei dessen Loblied Herr Lindner Unrecht tut. Eigentlich befürwortet er ja Umverteilung aus tiefster Seele, nämlich die von arm nach reich, von öffentlichen Gütern zu Privatvermögen. Fragt sich bloß, ob diese Richtung der Umverteilung im Sinne des Zitates klug und durchdacht ist. Das Emblem durchdachter Umverteilung ist übrigens, wie auch alle sogenannten Liberalen ständig betonen, die Gießkanne. Kein blühender Garten wäre ohne sie denkbar. Sie bringt das Wasser von den Stellen des Überflusses, Beispiel Regentonne, zu denen des Bedarfs, Beispiel Gemüsebeet. Das Ergebnis ist Wachstum ringsum. Sie können das Beet übrigens hacken solange sie wollen. Wenn es nicht gegossen wird, bringt das garnischt. Sogenannte Liberale hoffen immer, dass höhere Mächte das Gießen übernehmen - die unsichtbare Hand des Marktes und ähnliche. Allen anderen empfehle ich die - Gießkanne.
Die Stellen des Bedarfs sind in unserem Land inzwischen an jeder Ecke leicht sichtbar: Pflege, Bildung, Infrastruktur, Verwaltungsreform,Verteidigung , Klimaschutz, ökologische Landwirtschaft, Integration, Inklusion, Armutsbekämpfung und noch ein paar andere Kleinigkeiten. Da sind schon ein paar Kannen zu tragen. Und die Vermögenden im Lande müssen eingestehen, dass ihr Kapital dafür zu einem guten Teil eingesetzt werden muss. In Autokratien könnten sie als Gönner, Wohltäter und Mäzene auftreten. In einer Demokratie läuft es auf eine ganz spießige Einrichtung hinaus: Vermögenssteuer. Sie gleicht die Vermögen einander an und macht die öffentliche Hand handlungsfähig.
Alle Reichen kann ich aber beruhigen: Diese Umverteilung ist kein Nullsummenspiel. Sie bereichert uns alle. Als staatliche Maßnahme wäre die Steuer eine Pflicht, womit sie alle Reichen gleichermaßen träfe. Niemand geräte ins Hintertreffen! Den Gewinn der Gleichheit konnte ich hier hoffentlich andeuten. Der großen Mehrheit will ich sagen: Mit kluger Umverteilung tun wir niemandem weh! Wählt also getrost die Kräfte der Umverteilung. Den ängstlichen Privilegierten mag ich zurufen: Gönnt euch Gleichheit - und allen anderen halt auch!
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