Die Astrologie ist zurück. Aber nicht nur die. Ein bunter Strauß esoterischer Praktiken und Erzählungen hat eine Altersgrenze nach der anderen durchschlagen wie ein Meteorit, um gerade bei jungen
Hippen epidemisch zu werden. Zwei Deutungen tauchen in vielen Artikeln zu dem neuen Trend auf: In Zeiten der Krise suchten Menschen Orientierung in Irrationalem. Zum anderen wird die Situation
und eben diese Reaktion mit den 20er Jahren verglichen. Der historische Vergleich scheint mir erst fruchtbar zu werden, nachdem die erste Deutung demontiert wurde.
Erst einmal scheint es mir kühn, die Hinwendung zur Irrationalität mit Orientierungsbedürfnis zu erklären. Demnach müsste ich mich, sobald ich mich beim Wochenendspaziergang hoffnungslos
verlaufen habe, nach dem buntesten, neurotischsten Wirrkopf umsehen, um ausgerechnet den nach dem Weg zu fragen. Sollte das das Motiv der Neuesoteriker sein, handelte es sich nicht einmal um eine
Gegenkultur zu einem entmenschlichten Rationalismus, sondern um handelsübliche Verwirrung. Entmenschlichung schreit selbstredend nach Gegenkonzepten.
Wenn ich Astrologie oder anderes esoterisches Tafelsilber kritisiere, werde ich schnell als knöcherner Rationalist verunglimpft. Nun halte ich nüchternes Durchdenken für eine gute Methode zu
Gestaltung und Problemlösung. Aber eben nur eine unter vielen. Schon Karl Valentin wusste, dass, wenn es zu viele gscheite Leut gäb, nix Gscheits mehr passiere. Auch Nicht-Esoteriker handeln wohl
viel häufiger intuitiv als streng algorithmisch. Die wenigsten kochen ihr Süppchen nach einem Rezept, dass rationaler Letztbegründung standhält. Trotzdem halten wir solches Handeln nicht für
unvernünftig. Esoterik suggeriert aber einen Gegensatz zwischen Vernunft und Intuition. Sie geriert sich antirational.
Nichts scheint allerdings kleinkarierteren Regeln zu folgen als die Anfertigung eines Horoskops. Entgegen des eigenen Bekenntnisses ist das astrologische Weltbild von weitaus simpleren
Determinismen bestimmt wie auch nur die newtonsche Mechanik, von moderner Physik und anderen Wissenschaften ganz zu schweigen. Es gibt kaum einen vernünftelnderen Menschen als einen Astrologen
bei der Arbeit. Jede Wissenschaftlerin reflektiert ihr Unwissen, die Unschärfe ihrer Messmethoden, die gesellschaftliche Bedingtheit ihrer Annahmen grundsätzlicher als jeder Esoteriker, den ich
kenne - und ich wohne in Berlin-Kreuzberg. Gewisse Geister sehen gerade darin den Vorzug der Esoterik: Sie ermöglicht politisch korrektes Schubladendenken für Bohemiens. Dies teilt sie mit
identitären Konzepten, die gerade in unzähligen Communities Mode werden.
Die Irrationalität, die die Esoteriker vor sich hertragen wie eine Monstranz, ist weder ihr Alleinstellungsmerkmal noch überhaupt ein Makel. Die Besonderheit esoterischer Spiritualität ist
vielmehr die Betonung instrumenteller, zweckrationaler Kalküle. Transmutation z.B. meint den Aufstieg des Individuums in einem hierarchisch gedachten Kosmos. In diesem bestimmen die Sterne da
oben über das Schicksal hier unten. Geistwesen senden in komplett asymmetrischer Kommunikation Botschaften , die die menschliche Vernunft prinzipiell überbieten. Der Vergleich mit den 20er Jahren
legt nahe, dass in der Esoterik autoritärem Denken gehuldigt wird, noch bevor der starke Mann da ist. Sie sammelt ihm schon einmal die Palmwedel.
Die moderne Esoterik entstand als eine kleinkriminelle Szene, in der verunsicherten Kapitänen eine rosige Zukunft gegen Kleingeld aus den Sternen gelesen wurde. Die Astrologie wurde nicht erst
dazu aus der kulturellen Klamottenkiste gezogen, womit die ersten Esoteriker schlicht die Investitionsrate ihrer Unternehmung senkten: Kulturelles Recycling. Zuvor hatte der Adel Bedarf an
solchen Diensten. Esoterik bewies wie flexibel sie in der Affirmation mit den jeweiligen Eliten sein konnte. Je mächtiger der Auftraggeber, desto länger der Schweif an Quacksalbern und
Spintekökern, der ihm folgt. Je größer dieser Schweif, desto irrwitziger die Theorien, mit denen sich die Wunderdoktores überbieten. Eine Theorie muss nicht richtig sein, sondern ominös. Mit dem
Beginn des Kapitalismus musste sich diese Szene allerdings umorganisieren. Sie musste ebenso agil werden, wie die Sie beauftragenden Kapitäne und Spekulanten. Dafür mussten sie das Geheimwissen
in eine Werbestrategie umschreiben. Die eilt der Ankunft des Auftraggebers auf dem dezentralisierten Markt voraus.
Ein Bild eines hierarchisch fest gefügten Kosmos dient sich denen gut an, die nach der Macht greifen. Esoterik erscheint so als Ausdruck eines vorauseilenden Gehorsams gegenüber den starken
Männern, mit denen man sich womöglich morgen arrangieren muss. Esoterik fungiert bis heute als eine schwarmintelligente Metapolitik autoritären Denkens und ist deshalb bei Rechten so überaus
beliebt. Esoteriker bereiten der politischen Rechten den Boden, ganz selbstlos, bis auf die Vertreter ihrer Zunft, die dann von rechten Agitatoren und Machthabern Posten erhalten.
Nun sind beileibe nicht alle Esoteriker rechts. Sie spielen nur mit dem bunten Tand, den der Mainstream unserer Kultur so liegen lässt. Der Freispruch von verschulter Rationalität setzt
Kreativität frei, auch wenn diese im esoterischen System bald kastriert wird. Diese antiautoritäre Kreativität sollte sich Denkschulen suchen, die nicht gleich das ganze Sein hierarchisieren.
Deren Spiritualität über die Hoffnung nach dem eigenen Aufstieg hinausgeht. Anstatt die Kreativität aus der Huldigung höherer Mächte zu schöpfen, kann sie sich vom Anblick des Menschen antreiben
lassen. Anstatt in der Vertikalen eine one-fits-all Orientierung zu finden, kann sie im menschlichen Gegenüber immer wieder ein Ziel der Fürsorge suchen. Sie ist das Gegenmittel zu einer uns für
jedweden Autoritarismus sturmreif schließenden Vertikalspannung. Für diese Fürsorge kann sich meine Kreativität Mittel und Mittelchen suchen: rational, irrational, horizontal! Schon ein einziges
Kochbuch enthält mehr Weisheiten als die ganze Astrologia Gallica. Mir geht es auch nicht um einen rational begründeten Wahrheitsanspruch. Jede und jeder sollen meinetwegen glauben, was sie
wollen. An Kobolde, Hausmittel gegen Warzen, Kloßrezepte. Solange deren Preis nicht die Hierarchisierung allen Seins samt der Einordnung des Menschen in diesen Sklavenkosmos ist.
Die Esoterik schneiderte dem Untertanengeist , dem Schubladendenken und dem Strebertum eine gar bunte Uniform. Die Strategien der Fürsorge sind weit bunter, schon ohne irgendwelche Kleider. Ein “Nieder mit der Esoterik” wäre aber doch etwas übertrieben, solange sie in einem politisch irrelevanten Reservat eingehegt bleibt. Und in Sachen Buntheit sollten den Vertikalaposteln die fürsorglichen Kreativen jeden Alters zurufen: Challenge excepted!
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